Konstruktionsgrammatik

Der Begriff Konstruktionsgrammatik (englisch construction grammar, CxG) bezieht sich auf eine soziobiologische[1] „Familie“ grammatischer Theorien oder Modelle, die von der Vorstellung ausgehen, dass die grundlegenden Einheiten der Grammatik nicht atomare syntaktische Einheiten und deren Kombinationsregeln sind, sondern sogenannte grammatische Konstruktionen. Die gesamte Grammatik einer Sprache besteht aus taxonomischen Hierarchien solcher Einheiten. Konstruktionen entsprechen Replikatoren oder Memen in der Memetik.[2][3][4]

Der Begriff „Konstruktion“ ersetzt eine Reihe von Konzepten aus der Linguistik, darunter Wörter (Erdferkel, Avocado), Morpheme (auf-, ‒isch), feste Ausdrücke und Redewendungen (im Großen und Ganzen, eine Extrawurst verlangen) und abstrakte grammatikalische Regeln wie die Passivkonstruktion (Die Katze wurde von einem Auto angefahren) und so weiter. Jedes Sprachmuster wird als Konstruktion betrachtet, solange ein Aspekt seiner Form oder seiner Bedeutung nicht aus seinen Bestandteilen oder aus anderen Konstruktionen vorhergesagt werden kann, deren Existenz erkannt wird. In der Konstruktionsgrammatik wird jede Äußerung als eine Kombination mehrerer verschiedener Konstruktionen verstanden, die zusammen ihre genaue Bedeutung und Form spezifizieren.[5]

Befürworter der Konstruktionsgrammatik argumentieren, dass Sprache und Kultur nicht von Menschen entworfen werden, sondern „emergent“ sind oder dass sie automatisch in einem Prozess konstruiert werden, der mit der natürlichen Selektion von Arten vergleichbar ist;[1][6][7][4] oder der Bildung von natürlichen Konstruktionen wie Nester von sozialen Insekten.[8] Konstruktionsgrammatik ist mit Konzepten aus der kognitiven Linguistik verbunden, die auf verschiedene Weise belegen sollen, warum menschliches rationales und kreatives Verhalten automatisch und nicht geplant ist.[9][8]

  1. a b William Croft: Competing Models of Linguistic Change: Evolution and Beyond. Hrsg.: Ole Nedergaard Thomsen. John Benjamins, 2006, The relevance of an evolutionary model to historical linguistics, S. 91–132, doi:10.1075/cilt.279.08cro.
  2. Simon Kirby: The Language Phenomenon. Hrsg.: Binder/Smith. Springer, 2013, Transitions: the evolution of linguistic replicators, S. 121–138, doi:10.1007/978-3-642-36086-2_6 (online [PDF]).
  3. Eva Zehentner: Competition in Language Change: the Rise of the English Dative Alternation. De Gruyter Mouton, 2019, ISBN 978-3-11-063385-6.
  4. a b Brian MacWhinney: Handbook of Language Emergence. Hrsg.: Brian MacWhinney, William O’Grady. Wiley, 2015, ISBN 978-1-118-34613-6, Introduction – language emergence, S. 1–31.
  5. Adele Goldberg: Constructions at Work: The Nature of Generalization in Language. Oxford University Press, New York 2006, ISBN 0-19-926852-5, S. 5–10 (online).
  6. Clay Beckner, Richard Blythe, Joan Bybee, Morten H. Christiansen, William Croft, Nick C. Ellis, John Holland, Jinyun Ke, Diane Larsen-Freeman, Tom Schoenemann: Language is a Complex Adaptive System: Position Paper. In: Language Learning. Band 59, Nr. 1, 2009, S. 1–26, doi:10.1111/j.1467-9922.2009.00533.x (online [PDF; abgerufen am 5. Juli 2020]).
  7. Hannah Cornish, Monica Tamariz, Simon Kirby: Complex Adaptive Systems and the Origins of Adaptive Structure: What Experiments Can Tell Us. In: Language Learning. Band 59, Nr. 1, 2009, S. 187–205, doi:10.1111/j.1467-9922.2009.00540.x (online [PDF; abgerufen am 5. Juli 2020]).
  8. a b Östen Dahl: The Growth and Maintenance of Linguistic Complexity. John Benjamins, 2004, ISBN 978-1-58811-554-6.
  9. George Lakoff, Mark Johnson: Philosophy in the Flesh: the Embodied Mind and its Challenge to Western Thought. Basic Books, 1999, ISBN 0-465-05673-3.

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