Kulturkampf

Modus vivendi, Karikatur von Wilhelm Scholz: Der Papst und der Reichskanzler fordern sich gegenseitig als Zeichen der Unterwerfung zum Fußkuss auf, durch den Vorhang beobachtet Ludwig Windthorst die Szene. Bildunterschrift: Pontifex: „Nun bitte, genieren Sie sich nicht!“ Kanzler: „Bitte gleichfalls!“. Aus dem Kladderadatsch, Nr. 14/15 (18. März 1878).

In Deutschland wird der Begriff Kulturkampf unter Vorzeichen des 19. Jahrhunderts auf den Konflikt zwischen Preußen bzw. später dem Deutschen Kaiserreich unter Reichskanzler Otto von Bismarck und der katholischen Kirche unter Papst Pius IX. bezogen; diese Auseinandersetzungen eskalierten ab der Reichsgründung 1871, als der protestantisch geprägte erste deutsche Nationalstaat begann, gegen die katholische Minderheit vorzugehen; sie wurden bis 1878 beendet und 1887 diplomatisch beigelegt.

Politisch ging es in Deutschland in erster Linie um die Schwächung der katholischen Kirche und des Einflusses der organisierten katholischen Minderheit. Unter dem Deckmantel eines Kampfes mit der Kirche bestand das Hauptziel in der weiteren Entrechtung der Polen im Osten Preußens, die zumeist Katholiken waren und einen beträchtlichen Teil der dortigen Bevölkerung ausmachten, um ihre erzwungene Germanisierung zu beschleunigen. In diesem Sinne erklärte Otto von Bismarck am 3. Dezember 1884 im Reichstag über den Kulturkampf: „Ich bin in den ganzen Kampf nur durch die polnische Seite hineingezogen worden.“[1] Die protestantischen Kirchen waren nur sehr gering vom Kulturkampf betroffen und standen den Gesetzen gegen die katholischen „Konkurrenten“ zunächst positiv gegenüber. Erst durch die immer härteren Maßnahmen Otto von Bismarcks gegen die katholische Geistlichkeit sahen schließlich auch Protestanten und Liberale die Freiheitsrechte im Reich bedroht und opponierten.

Allgemein werden als Kulturkampf Auseinandersetzungen zwischen Staat und katholischer Kirche im 19. Jahrhundert in mehreren Staaten Europas und Südamerikas bezeichnet, bei denen es grundsätzlich um einen Versuch der gewaltsamen Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche ging. Beim Kulturkampf prallten die Vertreter zweier konkurrierender Weltanschauungen – konservativ und liberal – aufeinander.

In einem größeren Kontext wird mit „Kulturkampf“ auch ein europäisches Phänomen bezeichnet: Es kam in mehreren Staaten des Kontinents zu ähnlichen Entwicklungen. Eine gewisse Vorreiterrolle hatte dabei die Schweiz. Auch der badische Kulturkampf und der bayerische Kulturkampf fanden zeitlich vor dem preußischen statt.

Darüber hinaus spielt der Begriff vor allem bei rechtsgerichteten Kreisen in der zeitgenössischen politischen Diskussion in Deutschland eine gewisse Rolle, siehe „Aktueller Gebrauch“ unten im Artikel.

  1. Lothar Gall: Bismarck. Der weiße Revolutionär. Propyläen-Verlag, Frankfurt am Main 1980, ISBN 3-549-07397-6, S. 660 f.

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