Massaker von Nemmersdorf

Zeitungsausschnitt mit Schlagzeile „Bestien wüteten in Ostpreußen“
Schlagzeile in der Braunschweiger Tageszeitung vom 27. Oktober 1944

Als Massaker von Nemmersdorf werden die Ereignisse um den 21. Oktober 1944 im damals deutschen Dorf Nemmersdorf in Ostpreußen (heute Majakowskoje, Russland) bezeichnet, bei denen nach heutigen Erkenntnissen zwischen 19 und 30 Menschen getötet wurden, nachdem die Rote Armee den ostpreußischen Ort besetzt hatte. Im Kern dieser Ereignisse steht die Erschießung von 13 einheimischen Zivilisten, die sich vor den Kampfhandlungen zwischen der Wehrmacht und den sowjetischen Truppen in einen Bunker geflüchtet hatten. Hinzu kommen sechs weitere Nemmersdorfer und möglicherweise auch einige ortsfremde Personen, die bei der Einnahme Nemmersdorfs ums Leben kamen. Die Hintergründe für den Tod der dortigen Zivilisten sind bis heute nicht restlos geklärt.

Nachdem sich die Rote Armee aus Nemmersdorf zurückgezogen hatte, versuchte das deutsche Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, die Geschehnisse in der Ortschaft im Sinne des nationalsozialistischen Regimes zu deuten. Ziel war es, die Reserven der deutschen Bevölkerung gegen die vorrückenden Sowjettruppen zu mobilisieren, indem man diese als grausame Invasoren darstellte. Zu diesem Zweck wurden nachträglich Aufnahmen mit Erschossenen unbekannter Herkunft angefertigt und propagandistische Berichte verbreitet, die von methodischen Folterungen, Vergewaltigungen und Morden sprachen. Das Ziel, die deutsche Bevölkerung und die Weltgemeinschaft zum Kampf gegen die Rote Armee zu motivieren, verfehlte diese Propaganda aber.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde Nemmersdorf zum Symbol für die Erlebnisse der ostdeutschen Bevölkerung gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Schilderungen und Todesopfer aus der NS-Propaganda wurden noch einmal gesteigert. Dabei wurde auf angebliche Augenzeugenberichte Bezug genommen, die weder mit der Darstellung der NS-Propaganda noch mit der heute rekonstruierbaren Quellenlage übereinstimmen. In der DDR und in der Sowjetunion wurde das Massaker von Nemmersdorf tabuisiert beziehungsweise als bloße Propagandaaktion des NS-Regimes dargestellt. In Russland wird eine Verantwortung sowjetischer Truppen für die Erschießungen bis heute abgestritten. Nemmersdorf gilt in Deutschland nach wie vor als Symbol für Verbrechen der Roten Armee gegen die deutsche Bevölkerung. Erst mehrere Jahrzehnte nach den Ereignissen trug der deutsche Autor Bernhard Fisch zu einer maßgeblichen Revision der über Jahrzehnte tradierten Berichte über das Massaker von Nemmersdorf bei. Die Rezeption der Nemmersdorfer Ereignisse gilt als symptomatisch für die einseitige öffentliche Aufarbeitung des Komplexes Krieg und Vertreibung in den jeweiligen Ländern.


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