Philosophische Anthropologie

Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer (1808–1810). Das Bild thematisiert die Frage nach der Stellung und der Bedeutung des Menschen im Weltganzen.

Philosophische Anthropologie (Anthropologie: „Menschenkunde“, von altgriechisch ἄνθρωπος ánthrōpos, deutsch ‚Mensch‘, und -logie) ist das Fachgebiet der Philosophie, das sich mit dem Wesen des Menschen befasst.[1] Als eigene Fachrichtung ist die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstandene Philosophische Anthropologie[2] eine vergleichsweise junge Disziplin; Gegenstand und Fragestellungen, mit denen sie sich befasst, wurden aber auf unterschiedliche Weise großteils bereits in früheren Abschnitten der Menschheitsgeschichte reflektiert. Dennoch erzeugte Max Scheler als Mitbegründer der modernen Philosophischen Anthropologie beträchtliche Resonanz mit der Feststellung:

„Wir sind in der ungefähr zehntausendjährigen Geschichte das erste Zeitalter, in dem sich der Mensch völlig und restlos problematisch geworden ist: in dem er nicht mehr weiß, was er ist; zugleich aber auch weiß, dass er es nicht weiß.“[3]

Die philosophische Anthropologie sucht vom einzelnen Menschen zu abstrahieren und zielt auf Allgemeingültigkeit. Die tatsächliche Bindung jedes menschlichen Individuums an die jeweils zeitspezifischen, ortsspezifischen und kulturellen Daseinsbedingungen wird dabei vorausgesetzt.[4] Indem die Grundsituation der philosophischen Anthropologie davon bestimmt ist, dass der Mensch nach dem Menschen fragt, geht es einerseits um Selbstreflexion als Anliegen und Auftrag. Das ist aber andererseits nur möglich in der dem Menschen gegebenen Verbindung der Innenperspektive des Subjekts mit der Außenperspektive des Beobachters.

Um die Lebenssituation des Menschen generell zu erfassen, bedient sich die philosophische Anthropologie vielfältiger einzelwissenschaftlicher Erkenntnisse. Umgekehrt ergeben sich für Erkenntnistheorie und Einzelwissenschaften anthropologische Implikationen. Zum Umfeld der philosophischen Anthropologie gehören die Humanwissenschaften, zu denen insbesondere die Biologie, die Primatologie, die Neurowissenschaften, die Psychologie, die Sprachwissenschaften, die Ethnologie, die Paläontologie, die Soziologie und auch die Geschichtswissenschaften sowie eine Vielzahl von Variationen aus diesen Fächern wie die Soziobiologie oder die Evolutionäre Psychologie gehören. Zu jeder dieser Fachrichtungen gibt es auch eine spezifische Anthropologie wie etwa eine medizinische, eine pädagogische, eine historische oder eine theologische Anthropologie.

Wo Menschen in der Selbstbetrachtung zu einem Rätsel oder Problem werden, sich selbst befragen oder in Frage stellen und die eigene Existenz betreffende Annahmen oder Antworten entwickeln, berühren sie das Feld der philosophischen Anthropologie. Die Spannbreite menschlicher Handlungsfelder und Möglichkeiten wirft unter anderem Fragen nach dem ethisch richtigen oder guten Leben, nach dem Sinn des Lebens überhaupt, nach dem Stellenwert von Egoismus und Altruismus, nach dem „Wesen“ von männlichem und weiblichem Geschlecht, nach sozialen Anpassungszwängen und individuellen freien Willen auf. Für Michael Landmann entspringt die philosophische Anthropologie „der Notwendigkeit desjenigen Wesens, das sich selbst schaffen muß und daher eines Bildes bedarf, auf das hin es sich schaffen soll. Beides greift ineinander.“[5]

  1. Zur Etymologie heißt es bei Gerd Haeffner: „Philosophie ist das Streben (philía) nach solide begründetem Orientierungswissen (sophía). Der Gegenstand der ‚Philosophischen Anthropologie‘ ist der Mensch (ánthropos), von ihm will man klar und allgemeingültig sagen, was er als solcher ist (lógos).“ Haeffner 2000, S. 17.
  2. Die Großschreibung folgt der häufigen Praxis in der Sekundärliteratur und insbesondere dem Ansatz Joachim Fischers, der zwischen philosophischer Anthropologie als Disziplin und Philosophischer Anthropologie als Denkrichtung in der Theoriegeschichte des 20. Jahrhunderts unterscheidet; siehe Fischer 2008, S. 595; siehe unter Rezeption und Kritik.
  3. Max Scheler: Die Sonderstellung des Menschen im Kosmos. In: Der Leuchter. Weltanschauung und Lebensgestaltung. Achtes Buch: Mensch und Erde. Darmstadt 1927, S. 162.
  4. Haeffner 2000, S. 87 f.; Christoph Wulf: Anthropologie. Geschichte, Kultur, Philosophie. Reinbek 2004, S. 266 f.
  5. Michael Landmann: Philosophische Anthropologie. Menschliche Selbstdeutung in Geschichte und Gegenwart. 4. Auflage. Berlin 1976, S. 10; zitiert nach: Werner Schüßler (Hrsg.): Philosophische Anthropologie. Freiburg / München 2000, S. 10.

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