Radikalenerlass

Als Radikalenerlass bezeichnet man den auch kurz Extremistenbeschluss genannten Beschluss der deutschen Regierungen des Bundes und der Länder zur Überprüfung von Bewerbern für den Öffentlichen Dienst auf deren Verfassungstreue vom 28. Januar 1972.[1]

Der Erlass hatte zum Ziel, die Beschäftigung sogenannter Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst zu verhindern.[2] Instrument war eine bundesweit einheitliche Auslegung und Anwendung des damals geltenden § 35 BRRG,[3] wonach sich Beamte durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhalt einzutreten hatten. Jeder Einzelfall musste für sich geprüft und entschieden werden. Dies hatte zur Folge, dass vor der Einstellung, aber auch zur Überprüfung bestehender Dienstverhältnisse eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz durchgeführt wurde. Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelte, wurde nicht eingestellt bzw. konnte aus dem Dienst entfernt werden. Für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst galten entsprechend den jeweiligen tarifvertraglichen Bestimmungen dieselben Grundsätze.

Der Erlass betraf nicht nur Mitglieder von Parteien, sondern auch Personen, die nicht parteigebunden waren. Er wurde 1979[4] von der Regierungskoalition aus SPD und FDP einseitig aufgekündigt: Es bestand politisch keine Einmütigkeit mehr über den Erlass. Auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1975 hatte keine Klarheit gebracht. Seitdem gehen die Landesregierungen eigene Wege. Die Praxis wurde auch im Ausland und insbesondere in Frankreich abgelehnt und als ein deutscher Sonderweg betrachtet. Von Berufsverboten wurde im politischen Diskurs von Gegnern des Radikalenerlasses deshalb kritisch gesprochen, weil die Betroffenen ihre erlernten Berufe als Lehrer, Postler oder Eisenbahner überwiegend nur im öffentlichen Dienst ausüben konnten. Auch wenn die Betroffenen ihren Beruf als solchen weiterhin ausüben durften, konnten die Folgen ähnlich sein wie bei einem Berufsverbot. In manchen Berufen gibt es alle oder fast alle Arbeitsplätze nur im öffentlichen Dienst. Das galt vor allem für Lehrer, da Schulen fast immer in kommunaler Trägerschaft waren und nur selten privat, sowie für Postbedienstete und Eisenbahner. Bundesbahn und Bundespost waren damals noch Staatsbetriebe.

Von 1972 bis zur ab 1985 erfolgten endgültigen Abschaffung der Regelanfrage, zuletzt 1991 in Bayern, wurden bundesweit insgesamt 3,5 Millionen Personen überprüft. Davon wurden 1250 überwiegend als linksextrem bewertete Lehrer und Hochschullehrer nicht eingestellt, rund 260 Personen entlassen.[2] Die vom Radikalenerlass Betroffenen fordern Entschädigung und eine vollständige Rehabilitierung. 2016 richtete als erstes Land Niedersachsen eine Kommission „zur Aufarbeitung der Schicksale der von niedersächsischen Berufsverboten betroffenen Personen und der Möglichkeiten ihrer politischen und gesellschaftlichen Rehabilitierung“ ein.

  1. Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Februar 1972, S. 342 Faksimile, 1000dokumente.de
  2. a b Friedbert Mühldorfer: Radikalenerlass HLB, 16. Juni 2014
  3. BGBl. 1957, 667
  4. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen WDR.

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