Politischer Mythos

Ein politischer Mythos ist eine intellektuelle und emotionale Erzählung über eine historische Person, einen politischen Sachverhalt oder ein politisches Ereignis mit einem kollektiven, sinn- und identitätsstiftenden Wirkungspotential.[1] Sein integratives Potential entfaltet dieser Mythos dabei über soziale und kulturelle Gräben hinweg, wobei er eine selbstverständlich-fraglose Geltung erlangt.[2] Seine Wirkung ist komplexitätsreduzierend; unüberschaubare Zusammenhänge werden mit Hilfe einfacher Wahrnehmungsschemata in geordnete Strukturen gebracht. Charakteristisch für einen politischen Mythos ist, dass das kommunizierte politisch-soziale Geschehen nicht gemäß den empirisch überprüfbaren Tatsachen interpretiert wird, sondern auf eine erzählerisch selektive und stereotypisierte Weise.[3] Spielt bei einer Utopie oder Ideologie die Zukunft eine herausragende Rolle, so steht bei einem politischen Mythos die historische Erinnerung im Mittelpunkt. Er kann aber auch eine komplette Fälschung und dennoch ideologiestützend sein. Im Gegensatz zum religiösen Mythos fehlt dem politischen Mythos der Bezug zu einer transzendenten, jenseitigen Welt.[3]

  1. Andreas Dörner: Politischer Mythos und symbolische Politik. Der Hermannmythos – Zur Entstehung des Nationalbewusstseins der Deutschen. Reinbek bei Hamburg 1996, ISBN 3-499-55568-9, S. 42–62.
  2. Claus Leggewie: Der Mythos des Neuanfangs. Gründungsetappen der Bundesrepublik Deutschland: 1949–1968–1989. In: Helmut Berding (Hrsg.): Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit. Frankfurt am Main 1996, S. 275–302. (Online verfügbar: Archiv polylogos.)
  3. a b Heidi Hein-Kircher: Politische Mythen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Heft 11 (2007). Online verfügbar: APuZ-Archiv

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