19. Jahrhundert

Die Welt um 1815
Die Welt um 1898

Das 19. Jahrhundert begann kalendarisch am 1. Januar 1801 und endete am 31. Dezember 1900. Die Weltbevölkerung zu Beginn dieses Jahrhunderts wird auf 980 Millionen Menschen geschätzt, zum Ende war sie auf schätzungsweise 1,65 Milliarden Menschen angestiegen.[1] Kennzeichnend für das 19. Jahrhundert war ein globaler Wandel, den es in diesem Umfang, dieser Tiefe und dieser Dynamik in keiner historischen Periode zuvor gegeben hatte.[2] Dieser Wandel wird auch als Beginn der Moderne bezeichnet.[2][3]

In Europa wurde 1815 nach dem Sieg über Napoleon, der zuvor große Teile des Kontinents erobert hatte, die alte Gesellschaftsordnung in vielen Aspekten wiederhergestellt. Einige rechtliche und wirtschaftliche Änderungen sowie einzelne territoriale Neuordnungen blieben jedoch bestehen. Die Ideen der Französischen Revolution ließen sich nicht dauerhaft zurückdrängen. Das Ringen um ihre Verwirklichung prägte das Jahrhundert.[3] In Europa erstritten das Bürgertum und andere Bevölkerungsgruppen größere wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheiten. Viele europäische Staaten führten Verfassungen ein, die die Rechtsbeziehung zwischen Bürger und Staat definierten. Politische Parteien wurden gegründet und Ideologien formuliert.

Von den neu entstandenen Nationalstaaten veränderten Italien und Deutschland, die in den 1860/70 Jahren durch Vereinigungen zahlreicher Territorien entstanden, am meisten die europäische politische Landschaft. Weltweit trat die Organisationsform des Nationalstaates ihren Siegeszug an.[4]

Die europäischen Großmächte, die eine Vormachtstellung im Welthandel innehatten und ihre Kolonialreiche in Afrika und Asien erweiterten, entwickelten sich zu den dominanten Mächten der Welt. Die größte Kolonialmacht, Großbritannien, dessen Britisches Weltreich im Jahr 1900 nahezu ein Viertel der Weltbevölkerung umfasste, beherrschte unangefochten die Weltmeere. Schon in der ersten Jahrhunderthälfte hatte es den Indischen Subkontinent vollständig unter seine Kontrolle gebracht und danach Australien von den Aborigines erobert.

Dem chinesischen Kaiserreich zwang es in den Opiumkriegen seine Bedingungen auf. Nachdem der Taiping-Aufstand niedergeschlagen wurde, erodierte die chinesische Zentralmacht zugunsten ausländischer und lokaler Kräfte. Japan hingegen schaffte es, sich nach der Meiji-Restauration grundlegend zu reformieren, indem es vieles aus Europa und den Vereinigten Staaten übernahm. Das Osmanische Reich schrumpfte hingegen weiter, verlor im Laufe des Jahrhunderts die Kontrolle über alle europäischen und nordafrikanischen Gebiete. Afrika und Südostasien wurden in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts von den europäischen Mächten fast vollständig kolonisiert.

Hingegen lösten sich die Regionen Südamerikas zu Jahrhundertbeginn von ihren spanischen und portugiesischen Kolonialherren. In Nordamerika gewannen die Vereinigten Staaten von Amerika nach ihrer Unabhängigkeit große Gebiete auf Kosten Mexikos und indigener Stämme hinzu. Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg wurden sie zu einer der stärksten Industrienationen der Welt.[5] Dabei profitierten sie von der starken Einwanderung von Fachkräften, die aus Europa und zu geringeren Teilen aus Asien kamen. Die atlantische Migration war ein Teil weltweiter Migrationsbewegungen, die in diesem Jahrhundert zuvor nicht gekannte Dimensionen erreichten. Die Wanderungsbewegungen gingen einher mit einem hohen Wachstum der Weltbevölkerung. Diese wurde durch eine Landwirtschaft ernährt, die ihre Produktivität durch Effizienzsteigerung und Flächenausdehnung erheblich steigerte. Ein großer Teil der Landbevölkerung wanderte in die Städte. Die mit dem starken Einwohnerwachstum verbundenen Probleme versuchten die Städte durch neue technisch innovative Infrastruktur und die Institutionen der modernen Massengesellschaft zu lösen.[4]

Die Industrielle Revolution breitete sich von England im Laufe des Jahrhunderts auf zahlreiche europäische Regionen, die USA und Japan aus. Ihre Strukturveränderungen gingen mit großen sozialen Ungleichheiten einher. Schlüsseltechnologien wie die Eisenbahn, das Dampfschiff und die Telegrafie führten zu einem starken Anstieg von Ausmaß und Geschwindigkeit der globalen Vernetzung sowie einer Veränderung der Wahrnehmung von Entfernungen. Viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse, unter anderem in der Medizin, brachten praktische Verbesserungen für zahlreiche Menschen.

Eine vorher nie gekannte Ressourcennutzung, eine auf fossilen Energien beruhende Wirtschaft sowie die massive Expansion von Siedlungs- und Kulturräumen führten zu einer starken Umgestaltung und Belastung der Umwelt. Deshalb sehen einige Wissenschaftler schon im 19. Jahrhundert den Beginn des Anthropozäns.[6]

  1. Our World in Data: World Population Growth
  2. a b Franz J. Bauer: Das „lange“ 19. Jahrhundert (1789–1917). Profil einer Epoche. 3. Auflage. Reclam-Verlag, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-15-018770-8, S. 32–36.
  3. a b Willibald Steinmetz: Europa im 19. Jahrhundert (= Neue Fischer Weltgeschichte. Nr. 6). S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019, ISBN 978-3-10-010826-5, S. 34.
  4. a b Michael Mann: Globalgeschichte des 19. Jahrhunderts – Einleitende Überlegungen. In: Michael Mann (Hrsg.): Die Welt im 19. Jahrhundert. Mandelbaum Verlag, Wien 2009, ISBN 978-3-85476-310-9, S. 11–33.
  5. Horst Dippel: Geschichte der USA. 10. Auflage. Verlag C. H. Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-60166-8, S. 35, 43–45,63–64,67.
  6. Johannes Paulmann: Globale Vorherrschaft und Fortschrittsglaube – Europa 1850–1914. C. H. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-62350-9, S. 7–44.

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